Alexandra Lechner: Eine Einführung zu den Fotografien
von Marcel Rauschkolb

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Sicher hat Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“ (1941) nicht an einen Umzug von Darmstadt nach Frankfurt gedacht. Wohl aber an die Wendungen, die das Leben mit sich bringt. Hesse ermutigt, dass wir „uns neuen Räumen jung entgegen senden“.

Und genau das tat Marcel Rauschkolb, als sein Arbeitsplatz 2017 von einem Büroareal am Rand von Darmstadt in die Nähe der Messe nach Frankfurt verlegt wurde. Obschon er Frankfurt von gelegentlichen Besuchen kennt, überrascht der Wechsel: Es gibt plötzlich so viel mehr zu sehen, zu entdecken, neue Eindrücke strömen auf ihn ein, Tag für Tag – und jeden Tag anderes. Rund um das Hochhaus Kastor, in dessen 14. Stock er seitdem arbeitet, macht er fast täglich Bilder oder kurze Filme. En passant, in den Pausen des Büroalltags. Das Viertel erscheint als Bühne, auf der jeden Tag eine neue Inszenierung stattfindet.

Im Gegensatz zu früheren Werkreihen wie „Touching from a distance“ fasziniert ihn an der Serie „14. Stock“ die formale Strenge und Nüchternheit der Frankfurter Büroarchitektur. Rauschkolb analysiert in seinen Bildern Struktur und Oberflächen, indem er die Komplexität dieser auf dem Reißbrett entstandenen Zweckbauten durch Detailaufnahmen auf grafisch abstrakte Bilder reduziert.

In seiner Bildgestaltung nimmt das Licht eine große Rolle ein. Wechselnde Lichtstimmungen und scharfkantige Schatten überlagern die Strukturen und Oberflächen der Gebäude. Marcel Rauschkolbs fotografischer Blick wandert von der Totalen ins Close-up. Er lässt uns als Betrachter in klare, streng gegliederte Bilder eintauchen. Man sucht förmlich nach dem Bruch in der strengen Komposition. Und findet ihn beispielsweise in Form einer Frau auf dem Balkon eines Büroturms oder von turnenden Kindern auf dem Vorplatz.

Während die Aufnahmen im ersten Teil des Buches sich auf Perspektiven, Formen und Strukturen rund um die Architektur des Areals konzentrieren, mischen sich im zweiten Teil immer mehr Menschen ins Bild. Vom 14. Stock aus geht es hinunter ins lebendige Viertel, das durch die unterschiedlichsten Menschen geprägt ist – von Angestellten über Messebesucher, Shopper, Touristen und Anwohner. Marcel Rauschkolb ist mit seiner Kamera mittendrin, die Bilder entstehen auf Augenhöhe – statt aus der Höhe des 14. Stocks.

Das bunte Echte und Lebendige bildet einen Gegensatz zu den grafisch und farblich reduzierten Bildern aus dem ersten Teil des Buches. Und genau das macht diese Serie aus: die Mischung aus Architekturaufnahmen und farbenfroher Streetfotografie bringt die unterschiedlichen Facetten urbanen Lebens in diesem auch für Frankfurt sehr speziellem Viertel zusammen. Immer mit dem persönlichen Blick von Marcel Rauschkolb. Keineswegs soll die Serie ein allgemeingültiges Bild des Viertels zeigen, sondern es sind die Zwischenmomente im Arbeitsalltag, ein wenig angehaltene Zeit, wie er sagt. Oder wie Hesse seinerzeit schrieb: „Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden“.

Die Zusammenstellung der Aufnahmen für Ausstellung und begleitendes Buch entstand in Kooperation mit Alexandra Lechner, Kuratorin im Team der RAY Fotografieprojekte und Mitbegründerin der Darmstädter Tage der Fotografie. Sie ist als Fotografin in Frankfurt am Main tätig, Professional Member im BFF und Mitglied der DGPh - www.alexandralechner.de

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